Erzieherinnen und Erzieher in Kinderwohngruppen

Das bedeutet: Intensivere Beziehungsarbeit, individuelle Pädagogik und große Verantwortung

Sie sind sehr gefragt: Erzieherinnen und Erzieher in der stationären Kinder- und Jugendhilfe. Intensivere Beziehungsarbeit, individuelle Pädagogik und große Verantwortung prägen die Arbeit in den Wohngruppen. Wie die Fachkräfte die Schichtarbeit, emotionale Betroffenheit und die Gemeinschaft erleben.

 

Fußball spielen, basteln, gemeinsam Tisch decken und Mittagessen… Bis hierhin könnten das auch Abläufe einer Kindertagesstätte sein. Doch es geht weiter: Hausaufgaben machen, Gitarrenunterricht, Freunde treffen, Abendessen kochen… und ab auf’s Sofa. Für die Kinder und Jugendlichen, aber auch die Erzieherinnen und Erzieher der Wohngruppen der Geschwister-Gummi-Stiftung endet die Betreuung nicht am späten Nachmittag, sondern findet rund um die Uhr statt – auch in den Ferien, auch in Zeiten des coronabedingten Lockdowns. Auch prägen zusätzliche Therapien und Gespräche, Freundschaft und Eifersucht, Erinnerungen, Wutausbrüche, herbe Enttäuschungen oder auch überschwängliche Freude den Alltag beinahe jedes Mädchen oder Jungen in den Einrichtungen. Jede und jeder von ihnen bringt aus der Vergangenheit schmerzvolle Belastungen verschiedenster Art mit, die eine gesunde Entwicklung unmöglich machten und immer noch erschweren. Mit dieser traurigen Last muss das Team aus Erzieherinnen, Erziehern und weiteren Fachkräften verschiedensten Pädagogen richtig umgehen können, so auch die 24-jährige Anna Stieler.

Zeit und Individualität

Sie hat im Sommer letzten Jahres ihre Erzieherinnen-Ausbildung abgeschlossen und bewusst die Geschwister-Gummi-Stiftung als Träger ihrer neuen Arbeitsstätte und die Traumapädagogik als neuen Arbeitsschwerpunkt ausgewählt. Nach diversen Praktika in verschiedenen elementarpädagogischen Einrichtungen wie einem klassischen oder einem Waldkindergarten sowie in der Kinder- und Jugendhilfe (Inobhutnahmestelle und Aktivspielplatz) war sie vor ihrem ersten Arbeitstag im Kinderhaus Sternstunden „wahnsinnig neugierig und gespannt darauf, was sie noch dazu lernen würde.“ Heute kann sie über ihre Erfahrungen in der stationären Kinder- und Jugendhilfe resümieren: „Man kann viel individueller auf die Kinder eingehen. Man hat mehr Zeit und muss den Blick nicht immer streng auf Strukturen und Alltag richten, sondern hat die Aufgabe, sich darauf zu fokussieren, was das Kind braucht.“ Das sei zum einen der Pädagogik geschuldet, die man individueller zuschneiden und anwenden könne: mehr Raum und Zeit für Projektangebote sowie aktive Zeit am Kind, lasse verschiedene Seiten der Kinder zum Vorschein kommen, welche ihre Freizeit und Entwicklung aktiv mit gestalten.

Schichtdienst schafft auch Flexibilität

Zum anderen biete der zeitliche Rahmen eine Rund-um-Betreuung: Erzieherinnen und Erzieher in Kinderwohngruppen arbeiten in der Regel im Schichtdienst, das heißt: Für 24 Stunden eines Tages sind Bezugspersonen für die Mädchen und Jungen da, auch an Wochenenden und Feiertagen. An Ostern und an Weihnachten. Für Anna Stieler bedeutet aber gerade das auch Flexibilität: Wenn sie an solchen Tagen arbeite, habe sie zu anderer Zeit mehr Tage am Stück frei. Wenn sie private Termine hat, kann sie ihre Dienstwünsche im Team einbringen und stößt auf Gehör. Außerdem genieße sie oft die „besondere Zeit“, welche der Alltag auch mit sich bringt, mit den Kindern: die Ruhe in Alltagspausen oder eben die Chance für größere Ausflüge in den Ferien: „Da kriegt man alles mit, man kann ganzheitlich mit dem Kind arbeiten, das geht gar nicht anders. Aber man muss damit umgehen können“, erzählt Anna Stieler. Damit meint sie nicht nur die Erfahrungen der Kinder aus deren Vergangenheit, sondern auch die daraus resultierenden Verhaltensmuster und Reaktionen in Alltagssituationen. „Wenn man sich auf die Kinder einlässt und diskutiert, dann macht das auch etwas mit einem selbst. Dann muss man sich darauf besinnen, selber einen Schritt zurückzutreten und sich zu sagen: Hier geht es nicht um mich. Alles, was ich tue, tue ich für das Kind vor mir.“ Das kann manchmal schwierig sein.

Was sie im Lauf der Zeit gelernt habe, sei die gedankliche Abgrenzung nach Arbeitsende. Sie trage ein Grundgefühl der Arbeit mit nach Hause, Belastungen aber versucht sie auf dem Nachhauseweg zu verarbeiten. Im Kreis ihrer Kollegen und eines Mentors finde sie jedoch auch immer ein offenes Ohr.

Diese allumfassende Betreuung bringt eine große Verantwortung mit sich. Eine hohe Belastbarkeit der Fachkräfte sei unerlässlich.

Freizeit mit der „Ersatzfamilie“

Diese Eigenschaft bestätigt auch Max Hassak, der der nach seinen Praktika bei der Geschwister-Gummi-Stiftung im Rahmen der Kinderpfleger- und Erzieherausbildung auch festangestellt in verschiedenen Wohngruppen tätig war: „Die Zeit in den Wohngruppen habe ich viel intensiver wahrgenommen als in anderen Einrichtungen. Man ist Ersatzfamilie und verbringt viel Zeit mit den Kindern. So werden Ausflüge unternommen oder man fährt zusammen in den Urlaub.“ Als männlicher Erzieher hat er besonders die „Jungengruppe“ der Geschwister-Gummi-Stiftung geprägt, in die viele erlebnispädagogische Aktionen eingeflossen sind: gemeinsame Klettertage, Besuche im Hochseilgarten oder Basketballtrainings – all das, wofür sich die Jungen und er selbst begeisterten. „Das Schöne ist, dass man seine eigenen Hobbies mit der Arbeit verbinden kann. Und was gibt es Schöneres?“, ergänzt er mit einem Augenzwinkern. Max Hassak spricht selten von Betreuung, vielmehr von Begleitung – durch viele Jahre hindurch.

Erzieherinnen und Erzieher arbeiten auch an den Hilfeplänen für die Kinder und Jugendlichen mit. Aus vielerlei Gründen zeichnen psychische Belastbarkeit ihren Beruf genauso aus wie Flexibilität, Offenheit und eine wertschätzende Haltung gegenüber den Kindern. Außerdem ganz viel Freude an der Arbeit – die der junge Mann definitiv hat: Bei jeder Freizeit, etwa im Allgäu oder an der Nordsee, war er dabei: „Für mich war es das Schönste, mit den Kindern Urlaub zu machen: Die Kinder und wir Mitarbeiter haben keinen Druck wegen der Hausaufgaben, Schularbeiten oder anderen Terminen. Diese Freiheit ist noch einmal etwas ganz was anderes. Man macht selbst Urlaub - mit den Kindern zusammen.“ Aber auch das jährliche Schmücken des Weihnachtsbaumes in den Wohngruppen erlebte er als sehr intensiv.

„Es fühlt sich nach Familie an.“

Doch derjenige Moment, der ihm bis heute am nachdrücklichsten in Erinnerung ist, ist scheinbar ganz einfacher und doch bedeutender Natur: „Wir waren auf Freizeit im Tabaluga-Haus in der Nähe vom Starnberger See. Am letzten Tag haben wir mit den „großen“ Kids einen Ausflug in der Therme Erding unternommen. Als wir dort vom vielen rutschen eine Pause machten, sagte ein Kind zu mir, dass es sich gerade nach Familie anfühlt. Das war einer von vielen Momenten, die mir bis heute mit am nachdrücklichsten in Erinnerung geblieben ist.“

Doch die Wege der beiden jungen Menschen gehen weiter: Momentan absolviert Anna Stieler eine Fortbildung im Bereich „Traumapädagogik“. Bald möchte sie ein Studium der Sozialpädagogik beginnen, wofür ihr sowohl ihre Ausbildung als auch ihre Tätigkeit im Kinderhaus Sternstunden nützlich ist – als Erfahrung und Qualifikation. In welchem Berufsfeld sie danach arbeiten möchte, lässt sie offen.

Max Hassak hat später Sozialpädagogik studiert und absolviert gerade seine Ausbildung zum Fachlehrer, um bald in vollem Umfang angehende Erzieher an der staatlichen Fachakademie in Bayreuth unterrichten zu können. In seinen Unterrichtseinheiten „wirbt“ er schon für den Tätigkeitsbereich der stationären Kinder- und Jugendhilfe – gerade auch für männliche Kollegen. Dort warten auf Erzieherinnen und Erzieher: Eine große Verantwortung, Karrierechancen bis hin zur Gruppenleitung mit entsprechend höherem Verdienst und vor allem: viele schöne und intensive Momente!

 

 

 

 

 

 

 

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